Nicht jeder Mensch erbt in seinem Leben im herkömmlichen Sinn ein bestimmtes Vermögen, aber jeder Mensch bekommt trotzdem ein Erbe von seinen Ahnen mitgegeben.

Dieses Erbe besteht aus Verhaltensweisen, Gedankenmustern, Glaubenssätzen und daran gekoppelt auch bestimmten Gefühlen. Unser genetisches Erbe bestimmt unsere Gesundheit und damit auch unser Leben maßgeblich.

Manche Menschen übernehmen sogar das geistige Erbe ihrer Vorfahren in Form ihres Wirkens und sind dadurch stark geprägt von dem, was ihnen in die Wiege gelegt wurde.

Wenn es um das physische – also monetäre – Erbe geht, gibt es häufig Erbstreitigkeiten, weil sich irgendjemand benachteiligt fühlt. Es kann aber auch sein, dass sich jemand schwer tut, das Erbe auf Grund von emotionalen Verstrickungen mit dem Vererbenden wirklich anzunehmen. In einigen Fällen stammt das Erbe aus Unternehmen, deren Firmenpolitik nicht den eigenen Werten entspricht oder in der Vergangenheit entsprach. Auch dann können Schuldgefühle und Gewissensbisse den Erben hemmen, sich mit dem Erbe zu identifizieren.

Wir erben nicht nur Geld

Wenn ich von einem Erbe spreche, meine ich daher nicht nur ein finanzielles bzw. materielles Erbe. Wir bekommen von unseren Ahnen, insbesondere von den Menschen, mit denen wir sehr eng zusammen leben, während wir aufwachsen, viel mehr für unser Leben mitgegeben, als nur physische (Wert-)Gegenstände.

Das mentale Erbe

Manchmal sind es bestimmte Ratschläge oder Weisheiten, die uns unsere Liebsten mit auf den Weg geben, ein anderes Mal ganze Glaubenssysteme und Weltbilder. Dieses Weitergeben geschieht manchmal bewusst, oft aber auch unbewusst. Diese Weltanschauungen oder Paradigmen sind allerdings häufig in einem ganz anderen Kontext entstanden, die mit den heutigen Bedingungen, Erfahrungen und Gegebenheiten nicht mehr zusammen passen. Sie resultieren aus Erfahrungen, die ein Vorfahre vor Jahrzehnten gemacht hat, allerdings zu völlig anderen Bedingungen, als wir sie heute vorfinden.

Dann ist es klug, diese Anschauungen oder Glaubenssätze zu hinterfragen und aufzulösen, sofern sie nicht mehr dienlich sind.

Beispielsweise könnten bei einer Frau, die im zweiten Weltkrieg Hunger oder gar Vergewaltigung erlebt hat, Glaubenssätze entstehen wie „Ich muss essen, solange etwas da ist:“ oder „Männer sind gefährlich.“ usw. Diese beeinflussen daraufhin ihr Verhalten in Bezug auf die Nahrungsaufnahme oder ihre Beziehung zu Männern. Indem sie ein bestimmtes Verhalten vorlebt, prägt sie damit schon früh unbewusst ihre Nachfahren in Bezug auf die Themen „Essen“ oder „Männer“. Dadurch könnten sogar Ess-Störungen oder übermäßige Ängste entstehen, die in den Nachfolge-Generationen im heutigen Kontext nicht mehr direkt nachvollziehbar sind und trotzdem das Leben der Betroffenen stark prägt.

Gedanken oder Glaubenssätze entsprechen aber häufig nicht der Realität, sondern bilden lediglich Annahmen darüber ab, wie wir glauben, wie die Welt um uns herum ist. Da unser Unterbewusstsein stets nach Beweisen für diese inneren Annahmen sucht, entsteht so nach und nach eine subjektive Realität, die unser Handeln und unser Verhalten maßgeblich beeinflusst und im Zweifelsfall ausbremst.

Das emotionale Erbe

Nicht nur Gedankenmuster, Glaubenssätze und Weltanschauungen unserer Vorfahren können unsere Realität von der Welt sehr stark prägen. Gedanken erzeugen Gefühle und je nachdem, ob die Gedanken negativ – also schwächend – oder positiv – also aufbauend – sind, entstehen in uns entsprechende angenehme oder unangenehme Gefühle. Diese Gefühle beeinflussen wiederum unser Handeln und erzeugen so einen Teil unserer Realität.

Als meine Tochter noch kleiner war, beobachtete ich wiederholt bei der Mutter ihrer Freundin, dass diese regelmäßig mit ihrer Tochter mit einem sehr bemitleidendem Unterton sprach. Sie war überzeugt, dass ihre Tochter „arm dran“ war, weil sie zeitweise ganz ohne ihren Vater aufwuchs oder er nur sehr unzuverlässig zu Besuch kam und lange die Tochter gar nicht zu sich nahm. Ich sprach sie irgendwann darauf an und fragte, ob ihr bewusst sei, dass sie damit ihrer Tochter ein bestimmtes Grundlebensgefühl von Mangel und Nicht-Geliebt-Seins vermittelte. Vermutlich entstand das Gefühl den Abgelehnt-Seins durch den Vater durch sein Verhalten sowieso in der Tochter. Aber es macht einen großen Unterschied, wie man als Mutter darauf reagiert.

Wenn ein Kind ein permanentes Gefühl von Mitleid erfährt, ist es umso überzeugter, bemitleidenswert zu sein. Vermittelt die Mutter dem Kind hingegen, dass es willkommen, angenommen und geliebt ist und dass die Ablehnung nichts mit ihrem Wesen, sondern lediglich mit den eigenen Grenzen des Vaters zu tun hat, mag es zwar immer noch schmerzhaft für das Kind sein, es schafft aber grundsätzlich einen anderen Boden für den Selbstwert des Kindes.

Ein anderes Beispiel von „vererbten Gefühlen“ kann ich aus meinem eigenen Leben erzählen. Als ich den Vater meiner Tochter kennenlernte und meine Mutter mitbekam, dass er Motorradfahrer ist, bat sie mich, niemals auf dem Motorrad mitzufahren, weil sie immer große Ängste hatte. Irgendwann wollte ich es doch ausprobieren und spürte, dass ich Angst hatte. Durch einen Geistesblitz kam mir die Frage in den Sinn: Ist das jetzt überhaupt meine Angst? Ich probierte es schließlich aus und stellte für mich fest, dass es mir einerseits viel zu laut war und andererseits der ständige Geruch von Abgasen in der Nase für mein Empfinden nicht attraktiv war. Ich habe damals bewusst gewählt, die Angst meiner Mutter nicht zu übernehmen, sondern mir ein eigenes Bild zu machen.

Als Kind ist das, was unsere Eltern uns vorleben wie eine Art „absolute Realität“, die wir häufig unreflektiert übernehmen. Es liegt in der Natur der Sache, dass man als Kind meist die Wahrheit der Eltern ungefiltert übernimmt. Erst im Erwachsenenalter entsteht das Bewusstsein und die Fähigkeit zu Reflektieren und sich neu zu entscheiden.

Im nächsten Teil geht es weiter mit Deinem physischen und Deinem geistigen Erbe.

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ihr Erbe wirklich anzunehmen, raus aus der emotionalen Starre rein in die Handlungsfähigkeit.

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